Katastrophe „biblischen Ausmaßes“?

Zur Berichterstattung über das Erdbeben in der Türkei und in Syrien

Ein eingestürztes Wohnhaus. Die Trümmer sind auf parkende Autos gefallen.

Ein Vater trägt sein totes Kind aus den Trümmern. Eine Frau weint um ihre Eltern, die es nicht mehr rechtzeitig herausgeschafft haben. Menschen zittern in der Kälte, haben ihre Wohnung verloren oder trauen sich aus Angst vor Nachbeben nicht mehr hinein. Ärzte kapitulieren vor dem nicht versiegenden Strom an Verletzten.

Was derzeit in der Osttürkei und in Nordsyrien passiert, können wir in Fakten festhalten. Aber um das Leid sprachlich einzuordnen, fehlen uns die Mittel. Entweder schweigen wir wie die Freunde Hiobs – oder wir greifen zu Bildern, die per se nicht mit dem wirklichen Geschehen übereinstimmen. 

Medien können nicht schweigen, sie müssen erzählen und erklären. Auch da, wo Erklärungen schwerfallen, weil es keinen Schuldigen gibt. Das unterscheidet das jüngste Erdbeben vom russischen Angriff auf die Ukraine. Und so kommt es, dass in diesen Tagen wieder mal der Begriff „Katastrophe biblischen Ausmaßes“ verbreitet wird (zum Beispiel von der Rheinischen Post oder dem Schweizer Boten).

Aber was ist damit eigentlich genau gemeint? Ein Unglück, das so groß ist wie die Bibel mit ihren über 30.000 Versen? Da böten sich inzwischen andere Bücher eher an. Eine so furchtbare Katastrophe, wie wir sie nur in der Bibel beschrieben finden? Tatsächlich finden wir ganz am Ende des Kanons ein Horrorszenario, das kaum zu steigern ist. Die Apokalypse des Johannes beschreibt in Kapitel 16 einen Alptraum, der in einem gigantischen Erdbeben endet, „wie es noch nicht gewesen ist, seit Menschen auf Erden sind“. Aber diese in ihren Details märchenhafte Vision bereitet erzählerisch das große Schlusskapitel vor, die Verwirklichung der Hoffnung auf eine unmittelbare Nähe der Menschen zu Gott: „Und er wird bei ihnen wohnen, und sie werden seine Völker sein, und er selbst, Gott mit ihnen, wird ihr Gott sein; und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz“ (Apk 21, 3f.).

Eine Katastrophe „biblischen Ausmaßes“ wäre also eine, die die Rettung schon verspricht, mehr noch, die auf einen versöhnten, heilen Zustand zusteuert. Beim „biblischen Ausmaß“ ist die Hoffnung auf Erlösung immer schon mitgedacht. Eine Vorstellung, die angesichts der Bilder aus der Türkei und Syrien schwerfällt. Aber wenigstens einen Hoffnungsschimmer zu sehen, mag zulässig sein: Das Ausmaß und die Schnelligkeit internationaler Hilfe waren beeindruckend. Dass in der Not auch Staaten zusammenhalten, die sich ansonsten eher skeptisch begegnen, ist der kleine Lichtblick, der aus den Trümmern scheint. Wie schön, wenn er ein biblisches Ausmaß erreichen würde!

Wenn Sie Teil der Hilfe für die Erdbebenopfer werden wollen, können Sie beispielsweise hier die Katastrophenhilfe der Diakonie unterstützen.

OKR Dr. Dr. Frank Hofmann