Brotgeschichten
"Unser tägliches Brot gib uns heute"
VELKD hat Wettbewerb zu "Brotgeschichten" durchgeführt
Die Tagung der Generalsynode der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD) im Jahre 2010 in Hannover hatte sich schwerpunktmäßig mit dem Thema „Unser tägliches Brot gib uns heute“ beschäftigt. Aus diesem Anlass wurde ein Wettbewerb zur Einreichung von "Brotgeschichten" ausgeschrieben. Die Generalsynode hatte Gemeinden und Einzelpersonen dazu eingeladen, ihre „Brotgeschichte“ mit Erlebnissen und Erfahrungen des Mangels sowie mit geschenkter Fülle zu erzählen.
Die Bitte um das tägliche Brot äußern Menschen in gegensätzlichen Situationen: in der des Überflusses und des Mangels. Für viele Menschen in allen Regionen der Welt – selbst in Deutschland – geht es ausschließlich um die Sicherung ihrer Nahrung und damit des täglichen Überlebens. Brot ist im Vaterunser aber auch als Synonym zu verstehen für unsere Bedürfnisse, die über das Essen und Trinken hinausgehen: Leben in Gemeinschaft untereinander und mit Gott, Solidarität und gegenseitiger Achtung. Diese Bitte aus dem Vaterunser stand auch im Mittelpunkt der Vollversammlung des Lutherischen Weltbundes, die vom 20. bis 27. Juli 2010 in Stuttgart getagt hat.Aus zahlreichen Einsendungen wurden drei "Brotgeschichten" besonders gekürt. Der Jury gehörten an: der Präsident der Generalsynode, Prof. Dr. Dr. h. c. Wilfried Hartmann, der Leitende Bischof, Landesbischof Dr. Johannes Friedrich, Pfarrerin Jacqueline Barraud-Volk (Mitglied der Generalsynode), die stellvertretende Geschäftsführerin des Deutschen Nationalkomitees des Lutherischen Weltbundes, Oberkirchenrätin Inken Wöhlbrand, sowie die Referentin für Theologische Grundsatzfragen der VELKD, Oberkirchenrätin Dr. Mareile Lasogga.
An dieser Stelle finden Sie ausgewählte "Brotgeschichten" zum Lesen.
Wer bin ich, dass ich mir traue eine "Geschichte" über BROT zu schreiben?
Ich bin ein Kind, fünf oder sechs Jahre alt im Winter 1945 - oder 46?
Ich sehe meine Mutter völlig geschafft in der Küche sitzen ... und wir: 4 Kinder und der
kranke Großvater um einen Laib BROT.
Stunden war Mutter über Land weg, auch die "goldene Taschenuhr" - nun weg ... und das
BROT da - vor uns.
Ein Brot für eine "goldene Taschenuhr" jetzt für sechs so hungrige Mäuler .... weg, im Nu
alles aufgegessen.
Aufgegessen, nichts mehr übrig für den nächsten Tag. - Aber jetzt waren wir alle einmal satt
geworden. DANKE!
So satt, dass Mutter in ihre Schürze weinte.
BROT ... sie wusste, dass es am nächsten Tag keines gab.
BROT ist mir ein heiliges Wort ... auch heute, da ich immer satt und Kind eines Vaters bin.
Meines Vaters im Himmel ganz oben und ganz unten, ganz nah. Der andere Vater, der
richtige? Er fiel schon 1940 in Frankreich.
BROT ist mir ein heiliges Wort.
BROT ... es sticht mir im Herzen, wenn ich es sehe: verächtlich weggeworfen an
Straßenrändern.
BROT ... verschimmelt im Container am Haus.
BROT ... bestrichen mit Butter, belegt und beklebt ... und verworfen.
BROT ... ich schmecke förmlich den Duft heute, den es mir schenkt - in der Bäckerei, nur
um die Ecke.
BROT ... feste, kräftige Nahrung welch ein Geschenk.
BROT ... das ist mir heute auch GOTT. JESUS sagt: Mein Leib - BROT für DICH.
DANKE für BROT.
Verfasserin: Maria Krüger, Dresden
Seite druckenMein Vater wurde 1915 in eine Bäckerfamilie hineingeboren.
Als er ein Jahr alt wurde, verstarb schon sein Vater. Die Mutter heiratete wieder und starb, als er sechs oder sieben Jahre alt wurde.
Natürlich wurde wieder geheiratet um die Kinder Mein, Dein und Unser groß zu ziehen. Für die jüngeren Stiefgeschwister gab es immer frische Brötchen – nur nicht für meinen Vater, den Ältesten.
So kam es, dass er ein altes trockenes wegwarf.
Das hat der Stiefvater gesehen.
Dafür bekam mein Vater einen richtige Tracht Prügel.
Mit den Worten. Das gehst du noch mal suchen.
Was habe ich das Brot in Russland in der Gefangenschaft gesucht.
Soweit die Geschichte, die mein Vater mir immer erzählt hat.
Noch etwas: Mein Vater wurde 1933 Kolpingmitglied. Also mein Vater war römisch-katholisch. In dem Dorf, in dem ich groß wurde, traf sich die Kolpingfamilie jede Woche im Jugendheim. Der Präses sprich Priester referierte über das „Vater Unser“ und meinte, man müsse nicht mehr für das tägliche Brot beten, sondern in unserer Welt und Zeit für unsere Bedürfnisse.
Natürlich geriet mein Vater ob dieser Bemerkungen als Bäckermeister und wie in der Vorgeschichte als Russischer Gefangener ganz schön in Rage.
Kaum ein Jahr später gründete die Evangelische Kirche BROT FÜR DIE WELT.
Verfasser: Karl Josef Weyers, Traben-Trarbach
Seite druckenBrot in Kirchen und Gesellschaften des Nahen Ostens
Die hohe Stellung des Brotes ist in der hiesigen Kultur tief verankert. Ein nahöstlicher Freund erinnerte mich vor kurzem an Folgendes: Man hebt das auf der Strasse gefundene Brot auf, küsst es und berührt es mit der Stirn, da es ni’ma (Güte oder Gnade Gottes) ist, und legt es auf eine geschützte Stelle. Als Ausdruck der Freundschaft zwischen zwei Personen sagt der Volksmund: Zwischen ihnen gibt es Brot und Salz, d.h. man ist angenommen und miteinander verbunden. Einen Brauch gibt es auch bei einer Religionsgemeinschaft, und zwar bei den Alawiten: wenn die Frau mit dem Teigkneten fertig ist, druckt sie mit ihrem Handsaum das Kreuzzeichen auf den Teig, bevor sie ihn mit einem Stoff bedeckt und ihn aufgehen lässt. Ist das nicht ein Zeichen, dass der Orient einst christlich war? Brot ist im Orient das Hauptnahrungsmittel der Menschen. Früher durfte man in manchen Gebieten es nicht verkaufen. Im Allgemeinen gilt: Brot darf man Armen nicht verwehren. Tatsächlich kann vieles im Haus außer Brot fehlen. Fast alle Gerichte in der Fastenzeit der Christen können niemals ohne Brot verzehrt werden.
Die wichtigste Getreidepflanze ist der Weizen (hinta, qamh), und dient als das wichtigste Nahrungsmittel der Bauern. Zum Brotmachen musste der Teig in einer Schüssel angerührt werden. Die Fladen vom Teig kommen dann in einen Backofen. In jedem Haus ist ein Backofen aus Lehm fürs Brotbacken da. Er ist kuppel- oder zylinderförmig hochgezogen und steht seitlich im Innenhof oder in einem Raum. Er hat von oben eine Öffnung, durch die er mit Äste befeuert wird und der Rauch kann auch abziehen. Brennmaterial tut man rein, bis eine bestimmte Hitze erreicht wird, dann werden die Fladen von der Öffnung gegen die Wand mittels einer Art rundem dicken Kissen gedrückt. Und dann werden sie gebacken. Brot und was dazu gehört ist im Orient traditionsgemäß auf dem Land Frauensache. Beim Brotbacken treffen sich die Frauen und erzählen sich Neuigkeiten. Der Backofen als ein Teil der Architektur wird ebenfalls von den Frauen gebaut. Brot wird heute zunehmend von Bäckereien hergestellt.
So gesehen ist das Brot ein Teil der Kultur dieses geographischen Raumes. So wundert es nicht, dass Jesus selbst das Wort „Brot“ bei vielen Anlässen verwendet hat, wie beispielsweise: „Ich bin das Brot des Lebens,“ und „nicht vom Brot alleine lebt der Mensch,“ und was zum Thema gut passt, ist das folgende Gleichnis des Herrn: „[...]Wenn jemand unter euch einen Freund hat und ginge zu ihm um Mitternacht und spräche zu ihm: Lieber Freund, leih mir drei Brote; denn mein Freund ist zu mir gekommen auf der Reise, und ich habe nichts, was ich ihm vorsetzten kann [...]“ (Lukas 11, 5-8). Die Beziehung zwischen Brot und Kirche hat Christus selbst hergestellt, und er hat es besonders bei dem letzten Abendmahl gezeigt, in dem er es zu seinem Körper werden ließ. Seitdem wird das Brot in vielfältiger Art und Weise als einen untrennbaren Teil des Gottesdienstes bei den Kirchen im Orient benutzt, z.B. als Weihbrot (kuddas= ein rundes Fladenbrot mit 10-20 cm Durchmesser und 3-5 cm Dicke): Die Gläubigen bringen Brot in die Kirche mit. Der Priester bereitet damit samstags und sonntags das heilige Abendmahl (qurban). Für alle möglichen Heiligenfeste oder Gelübde bringt man Brote dem Priester, der sie behält und an die anderen Menschen verteilt. Beim Tod eines Familienmitgliedes verteilt man auch in der Regel Weihbrot möglicherweise am 3., 9., und 40. Tag nach dem Tod sowie nach einem halben und einem ganzen Jahr und am Totensamstag.
Für den Gottesdienst gibt normalerweise ein Gläubiger dem Pfarrer ein paar Brote. Das Brot muss hauptsächlich aus Weizenmehl, Hefe und Wasser gemacht sein. In die Mitte von jedem Brotstück wird ein Siegel eingeprägt. In dem Siegel befindet sich ein Kreuz und Worte aus dem Griechischen: IC, XC, NIKA, die bedeuten: Jesus Christus der Sieger. Im Altarraum (mazbah, haikal), der durch die Bilderwand (Ikonestas) von dem Kirchenraum getrennt ist, befindet sich in seiner Mitte ein Tisch. Er heißt der Thron. Hier geschieht die Verwandlung, wo der König der Könige anwesend ist. Der Priester mit einem besonderen Messer schneidet die zabiha (Schlachtopfer, die Brote). Danach kommen die Brotstücken in den Wein. Brot und Wein werden kraft des Heiligen Geistes zu Körper und Blut des Herrn im Kelch bei der Eucharistie umgewandelt. Nach der Umwandlung und bei der Kommunion (al-munawala) gibt der Priester jedem davon mit dem besonderen Löffel. Das übrige Brot wird vom Priester gesegnet und am Ende der Messe wird es an alle Anwesenden verteilt.
So wurde Brot bei allen orthodoxen Christen ein unverzichtbarer Bestandteil einer Messe. Und wie sieht das aus bei den anderen Christen? Zum Teil hat man es erfahren auf dem Fest der Völker der Kommission für deutsche und ausländische Gemeinden der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen in Hamburg (ACKH), es war Ende des Sommers 1994. Es fand unter dem Titel „‘Unser tägliches Brot’ - Geschichten zu Brot und Reis aus verschiedenen Traditionen“ statt. Hier haben in Hamburg ansässige Christen aus Afrika, Asien und Europa über Brot und Reis erzählt. Man hat den Eindruck, die wichtige Rolle des Brotes in bestimmten Regionen wird vom Reis in den anderen Gebieten der Welt übernommen. Brot und Reis spenden ja nicht nur materielles sondern auch geistiges Leben.
Verfasser: Dr. Bassam Sabour, Hamburg
Seite druckenAn und für sich war es keiner der erinnerungswerten Taifune, der uns diesmal auf den Philippinen erreichte. Es ist vielmehr das Drumherum, das ihn im Gedächtnis haften ließ. Mit einer Windgeschwindigkeit von 120 km/h erreichte er die Bucht der Ortes Batangas, südöstlich der Hauptstadt Manila gelegen.
Unser Haus, in Sichtweite zur Bucht gelegen, war dem Wetter entsprechen hergerichtet worden. Die Schiebetür zum Balkon wurde fest verschlossen. Alles, was empfindlich gegen Nässe war wurde auf kleine Dosen oder Behälter gestellt. Alles, was bei Sturm umfallen konnte war auf die Sessel und das Sofa gelegt worden. Von den Lampen waren vorher die Schirme abgeschraubt worden. Das Haus sah aus wie bei einer Belagerung.
Wir sitzen im Wohnzimmer und ich habe das „Taifun-Handbuch“ zur Hand genommen. Sohat jeder damit zu rechnen, dass die Stromversorgung unterbrochen werden kann. Die meisten haben wohl Trinkwasser abgefüllt, denn ohne Strom gibt es hier auch kein Wasser. Der vorletzte Abschnitt behandelt die Maßnahmen, die im Haus zu treffen sind. So sind die Türen zu den einzelnen Zimmern geöffnet zu halten, um einen Druckausgleich zu erzielen. Ich lehne mich zurück und komme zum letzten Abschnitt des Handbuches. Nebenallgemeinen Bemerkungen finde ich den Satz: „Die Technik ist nicht in der Lage, absoluten Schutz gegen die Kräfte der Natur zu bieten. Der Architekt hat das Seine getan, wir haben dies um organisatorische Maßnahmen ergänzt. Das letzte Wort hat immer unser Herrgott und wir empfehlen dem Leser dieser Zeilen, sich ihm im Gebet anzuvertrauen.“
Meine Frau schreit auf und ruft: „Was ist denn das?“ und sie deutet auf die Schiebetür des Balkons. Ich sehe durch die Scheiben ein Dach über den Rasen fliegen.„Wer mag jetzt wohl im Regen stehen?“
Ausgerechnet das Dach des Bauingenieurs war abgerissen worden. Es war eine Strecke von 70 m erst über eine Straße und dann über die Rasenfläche geflogen.
Waren wir in den solide gebauten Häusern glimpflich davongekommen so war doch damit zu rechnen, dass in den umliegenden Dörfern dringend Hilfe gebraucht würde. Viele Familien würden ihre Habe verloren haben, sei es durch den Sturm oder den hohen Wasserstand.
Die Dorfältesten luden zu einem Besuch ein. In zwei Dörfern waren die sanitären Einrichtungen zerstört worden. Die Reparaturen begannen mit Spendenmitteln und einen Monat später erreichte uns die Einladung, die reparierten Schäden in Augenschein zu nehmen. Der Dorfälteste hielt eine Dankesrede und die herausgeputzen Schulkinder trugen Tänze vor. Anschließend waren wir zum Essen und einem Umtrunk eingeladen. So hatte die Natur bei allem Schaden, den sie anrichtete, die Menschen wieder etwas näher gebracht.
Wir hatten auch ein persönliches Erlebnis am Rande der Wohltätigkeit. Noch während der Vorstellung gingen wir zur Hütte einer besonders bedürftigen Familie und ließen uns berichten, wodurch die Not denn verursacht war und hinterließen beim Weggehen eine nicht unbeträchtliche Summe Geldes. Nach zwei Monaten suchten wir die Hütte wieder auf und wollten uns von der Frau berichten lassen wie das Geld verwendet worden war.
"Es tut mir sehr leid, ihnen sagen zu müssen, dass uns das Geld nicht geholfen hat."
Meine Frau und ich sahen uns an, denn nach dem Gesagten schwante uns Böses.
"Mein Mann hat das Geld genommen und ist damit zum Hahnenkampf gegangen. Er hat dort alles verloren."
Wir ließen das Gesagte verklingen und dann machte ich einen neuen Ansatz.
"Ich werde ihnen einen Sack Reis schicken, damit die Kinder genug zu essen bekommen."
"Das wäre uns eine große Hilfe. Im Namen der Kinder bedanke ich mich herzlich."
Wir ließen einige Zeit verstreichen ehe wir die Hütte wieder besuchten. Der Gesichtsausdruck der Frau spiegelte Betroffenheit wieder, ein wenig Furcht und keinerlei Freude. Ihr kamen die Tränen wie sie erzählte:
"Der Sack Reis hat uns leider nicht helfen können. Mein Mann hat den Reis verkauft. Mit dem Geld ist er zum Hahnenkampf gegangen und dort hat er das ganze Geld verloren."
Wir unternahmen keine weiteren Versuche, dieser Familie zu helfen, denn wir hatten eine schmerzhafte Lektion darüber erhalten, wie schwierig Hilfe sein kann, wenn der Wille fehlt, sich helfen zu lassen.
Verfasser: Peter Tourbier, Tubigon/Bohol, Philippinen
Seite druckenDen Herbst 1947 durfte ich, ein vierjähriges Stadtkind, bei meinen ostpreußischen Großeltern verbringen – sie waren in einem kleinen Ort in der Nähe von Gandersheim beim Bauern einquartiert. Ich war ein blondgelocktes niedliches kleines Mädchen – daher hatte ich bei der Bauersfrau einige Privilegien. So durfte ich zum Beispiel heruntergefallene Äpfel auflesen und beim Füttern der Schweine von den herrlichen Pellkartoffeln nehmen, die ihnen vorgeworfen wurden.
Mein Großvater, der im 1. Weltkrieg ein Bein verloren hatte, lag den ganzen Tag im Bett und weinte viel. Die Oma, Mitte fünfzig, ging jeden Tag hinaus zum Arbeiten. Sie hatte aber auch einen kleinen Garten, den sie hingebungsvoll pflegte. Sie erklärte mir, wie groß und wie schön ihr Garten in Ostpreußen gewesen war und dass der Großvater dort Bienen gezüchtet hatte – immer hatten sie ihren eigenen Honig genießen können. Das stellte ich mir himmlisch vor – mein Hunger auf Süßigkeiten war enorm. Aber auch Brot liebte ich sehr – es brauchte gar nicht belegt zu sein.
Einmal spazierte ich am Nachmittag durch den Ort und wurde vom Duft des Brotes, der aus dem Bäckerladen auf die Straße zog, mächtig angezogen. Ich kletterte die Stufen zum Laden hinauf und stellte mich in die offene Tür. Ich atmete den Geruch des frischen Brotes ein und sah mir die wunderbaren Laibe an, die in Regalen lagen. Nach einer Weile fragte mich der Bäcker: „Na Kleine, willst du Brot kaufen?“ Ich schüttelte den Kopf. Er fragte wieder: „Hast du Hunger?“ Als ich nickte, meinte er: „Na, dann komm mal her.“
Der Bäcker kam um seinen Ladentisch herum und legte mir ein halbes Brot in die Hände. Ich weiß nicht, ob ich danke sagte. Ich weiß nur, dass ich mein Glück nicht fassen konnte und mit dem Brot nach Hause rannte, es den Großeltern zeigte. Diesmal weinte die Großmutter. Sie legte das Brot auf den Tisch, nahm ein großes Messer und teilte es in drei Stücke. Dass der Großvater, der nur im Bett lag und nicht arbeitete, die größte Scheibe bekam, konnte ich nicht verstehen. Für mich gab es auch eine dicke Scheibe; die Oma nahm sich den Kanten. Wir aßen das wunderbar duftende Brot.
Verfasserin: Bärbel Reinhard, Langenhagen
Seite druckenAls Kinder wuchsen meine Schwester und ich auch in Hannover noch mit kleinen Läden auf, in denen es lose Butter und Milch in der Kanne gab. Süßigkeiten und Getränke bekam man an der „Bude", und Brot - beim Bäcker an der Ecke.
Damals galt frisches Brot als so besonders, dass es das Brot vom Vortag billiger gab. Ein Grund, das „alte" Brot zu kaufen. Ein weiterer Grund: es war ein wenig härter als das weiche, ganz frische Gersterbrot. Und wir Kinder liebten es, wenn wir richtig „was zu beißen" hatten. Als die ersten Zähne wuchsen, gab es einen „Kanten" (die abgeschnittene Rinde), um darauf herumzukauen, es zu lutschen und natürlich auch genussvoll aufzuessen. Besonders liebten wir die „Knüste". Das sind die abgeschnittenen Enden des Brotes.Wie gut, dass jedes Brot zwei Knüste hatte, so dass jedes Kind einen abbekam.
Um diese Knüste geht es auch in meiner kurzen Brotgeschichte.
Der Bäcker verkaufte Brot nicht nur im Stück, sondern auch frisch aufgeschnitten. Nun wollten die meisten Menschen - aus uns Kindern völlig unerfindlichen Gründen - keine Knüste kaufen, sondern nur fein geschnittene Scheiben. Die Knüste wurden aber nicht weggeworfen (es war ungefähr um das Jahr 1960), sondern lagen in einem Extra-Korb. Wenn wir nun beim Bäcker waren, durften wir diese Knüste kostenlos mitnehmen und essen. (Wer wollte so etwas Gutes nur an Enten verfüttern?) Auf dem Weg zum Kindergarten war es keine Frage: für das Frühstück kehrten wir an jedem Morgen beim Bäcker ein und holten uns die Knüste, die wir dann im Kindergarten mit Genuß aßen. Andere Kinder brachten mehr oder weniger dick belegte Brote mit. Schließlich ging es wieder aufwärts in Deutschland, und niemand sollte Hunger leiden.
Die „Kindergartentanten" beobachteten uns eine ganze Weile, bis die Leiterin unsere Mutter einmal sehr rücksichtsvoll und vorsichtig auf unser Frühstück ansprach. Mutter wusste erst gar nicht, was das Problem sein könnte, bis die Leiterin etwas deutlicher wurde: „Wenn Sie nicht so viel Geld haben, um den Kindern ein richtiges Frühstück mitzugeben, dann dürfen sie das ruhig sagen. Es ist keine Schande, und wir hätten auch Möglichkeiten, Ihren Kindern etwas zukommen zu lassen."
Meine Mutter hat herzlich gelacht und sie dann darüber aufgeklärt, dass es nicht an den Finanzen lag. Wohl hatte sie uns auch anderes angeboten, aber wir wollten nur unsere Knüste. Das war das Leckerste, was wir uns vorstellen konnten.
Und so blieb es dann, bis der Bäcker irgendwann keine Knüste mehr zum Verteilen hatte.
Die Geschichte wurde immer wieder gern erzählt. Und Knüste? Was soll ich sagen? Heute habe ich zwei Söhne. Und das Brot hat leider immer noch nur zwei Knüste.
Verfasser: Karl-Martin Voget, Hannover
Seite druckenIhre Zusammenfassung der Notsituation in der Dritten Welt ist uns nicht so fremd, wie Sie und Ihre Generation glauben. Können Sie sich vorstellen, dass Menschen in Deutschland unterernährt waren, hungerten und für ein wenig Essen alles taten. Das ist nur 60 Jahre her, aber klar in meinem Gedächtnis. Ich kann heute im Wohlfahrtsstaat Schweden immer noch kein Brot in den Abfall werfen.
Lassen Sie mich von 1947 erzählen, von einem unserer Lehrer, Flüchtling aus dem Baltikum. Für Einheimische gab es hin und wieder etwas „unter der Hand“, auch bei Bauern, die man kannte, gab es hin und wieder etwas zu holen. Flüchtlingen waren diese Wege nicht zugänglich. Unser Lehrer hatte eine kranke Frau zu Hause. Er ging in die Bäckerei, um sich auf seine Brotmarken etwas zu kaufen, als der Bäcker kurz aus dem Laden ging, nahm er ein Brotlaib und steckte es in die Einkaufstasche. Der Bäcker hatte es gemerkt, rief die Polizei und ließ den Lehrer verhaften. Nun kam das Nachspiel - er sollte aus dem Schuldienst verschwinden! Nun kamen die Schüler und einige Lehrer zu dem Resultat, ein guter Lehrer hat Mundraub begangen. Er muss bleiben. Nach unserer Petition durfte er bleiben, aber bei dem Bäcker haben viele Menschen nie wieder gekauft. Was ist Recht und was ist Unrecht? Zu Weihnachten 1947 bekam ich ein halbes Brot! Wer diese Zeiten des Mangels und des Hungers in Deutschland erlebt hat, steht verständnislos vor dem Überfluss unserer Zeit. Wer sich das Gruppenbild unserer Klasse aus dem Jahr 1948 ansieht, weiß, dass ich nicht übertreibe.
Verfasser: Hans-Christoph Detert, Heberg /Schweden
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