Nachruf

Sein Wirken war impulsgebend und herausfordernd zugleich

Zum Tod von Papst Benedikt XVI. – Samstag, 31. Dezember 2022

Mit dem emeritierten Papst Benedikt XVI., Joseph Ratzinger, hat die katholische Kirche eine herausragende Persönlichkeit und einen Zeugen des Glaubens im 20. und 21. Jahrhundert verloren. Über mehr als siebzig Jahre hinweg hat Ratzinger als Theologieprofessor, Präfekt der Glaubenskongregation, Papst Benedikt XVI. und emeritierter Papst maßgeblich zum Profil der katholischen Kirche beigetragen. Dabei ist sein Wirken nicht immer frei von Spannungen und Widersprüchen gewesen. Sein Auftreten war impulsgebend und herausfordernd zugleich. 

Als Joseph Ratzinger am 19. April 2005 auf die Loggia des Petersdoms trat, begann er sein Pontifikat mit den Worten: „Nach einem großen Papst Johannes Paul II. haben die Herrn Kardinäle mich gewählt, einen einfachen und bescheidenen Arbeiter im Weinberg des Herrn. Mich tröstet die Tatsache, dass der Herr auch mit ungenügenden Werkzeugen zu arbeiten und zu wirken weiß.“ In seinen Worten steckte sowohl die Bescheidenheit und feinsinnige Zurückhaltung, die ihn prägten, als auch der Geltungsanspruch, mit dem er aufgetreten ist.

Nach einer Kindheit in Oberbayern, die neben dem katholischen Elternhaus nicht zuletzt auch durch den Zweiten Weltkrieg geprägt war, an dem Joseph Ratzinger als Jugendlicher teilgenommen hatte, wurde er mit nur 31 Jahren 1953 zum Professor für Dogmatik und Fundamentaltheologie an die Philosophisch-Theologische Hochschule Freising berufen. Mehrere Professuren an unterschiedlichen Fakultäten in Deutschland folgten. Als Berater des Kölner Erzbischofs Josef Kardinal Frings hat Joseph Ratzinger maßgeblich zum Zweiten Vatikanischen Konzil beigetragen, das die Öffnung der katholischen Kirche für die moderne Gesellschaft und für die Ökumene begründete. Mit scharfen Worten kritisierte der junge Ratzinger die Erstarrung der katholischen Kirche und Missstände im Heiligen Offizium, jener Behörde, der er später als Präfekt der Glaubenskongregation selbst vorstehen sollte. So leidenschaftlich, wie Ratzinger in den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts die Reform der katholischen Kirche und die Erneuerung der Theologie einforderte, stellte er später die Bewahrung der katholischen Lehre in den Mittelpunkt seines Wirkens.

In seine Zeit als Präfekt der Glaubenskongregation fiel die „Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre“, die 1999 in der Augsburger St. Annen-Kirche vom Präsidenten des Lutherischen Weltbundes, Christian Krause, und Edward Idris Kardinal Cassidy, dem Präsidenten des Rates zur Förderung der Einheit der Christen, durch ihre Unterschrift bestätigt wurde. Bis zuletzt hatte der kritische Theologe Ratzinger scharfsinnige Einwände und Fragen an den Text formuliert. Diese haben letztlich zu theologischen Klärungen geführt, die in den Annex und die „Gemeinsame offizielle Feststellung“ zu der Erklärung eingegangen sind. Zum ersten Mal wurde in der „Gemeinsamen Erklärung“ mit lehramtlicher Autorität festgestellt, dass die Lehrverurteilungen der Reformationszeit in einem so zentralen Bereich wie der Rechtfertigung des Sünders allein aus dem Glauben, Katholiken und Lutheraner heute nicht mehr voneinander trennen.

Umso irritierender ist für viele die Erklärung „Dominus Jesus“ gewesen, die im Jahr 2000 von der Glaubenskongregation herausgegeben wurde. Evangelische und auch katholische Vertreter kritisierten mit Recht, dass die evangelischen Kirchen in ihr nicht als „Kirchen“, sondern nur als „kirchliche Gemeinschaften“ tituliert wurden. Dabei war es weniger dieser Titel selbst, der irritierte, als vielmehr die Tendenz dieser Schrift. Die Formulierung „kirchliche Gemeinschaften“, die in den Texten des Zweiten Vatikanischen Konzils noch die Gemeinsamkeiten der evangelischen Kirchen mit der katholischen Kirche hervorheben sollte, bekam in der Erklärung der Glaubenskongregation plötzlich einen abwertenden Klang. Ratzingers Behörde musste sich vorwerfen lassen, die Aussagen des Konzils gegen ihren beabsichtigten Sinn zu kehren.

Es trifft nur bedingt zu, wenn man Papst Benedikt, Joseph Ratzinger, als „Motor der Ökumene“ bezeichnet. Aber ein starkes ökumenisches Bestreben auf der Suche nach der Einheit der Christen bestimmten sein Denken und Handeln durchgehend. Seine großen Stärken waren dabei die Klarheit seiner Gedanken und die Aufrichtigkeit, mit der er den theologischen Dialog suchte. Diese Eigenschaft zeigte Papst Benedikt XVI. auch 2011 bei seinem Besuch in Deutschland. Mit Spannung wurde seine Ansprache im Augustinerkloster in Erfurt erwartet, jenem Ort, an dem Martin Luther als Mönch gelebt und gelernt hatte. Dass der deutsche Papst die „Erwartung eines ökumenischen Gastgeschenkes“ als „politisches Missverständnis des Glaubens und der Ökumene“ zurückwies, wirkte schroff. Dass er Luther als einen ernsthaften Gottsucher bezeichnete und hervorhob, wie aktuell seine Frage „Wie kriege ich einen gnädigen Gott?“ in der heutigen Zeit ist, zeigte andererseits, dass er als Kenner der Theologie Martin Luthers offen für einen aufrichtigen theologischen Austausch gewesen ist. 

Fragen ließ das Vorgehen von Papst Benedikt XVI. in Bezug auf das Verhältnis von Christen offen. Unmissverständlich hat er bei seinem Besuch in Deutschland anlässlich des Weltjugendtages 2005 Stellung bezogen gegen jede Art von Antisemitismus. Dass er als deutscher Papst die Synagoge in Köln besuchte und an einem Totengebet für die im Holocaust ermordeten Juden teilnahm, ist ein starkes Zeichen gewesen, das gerade auch von Vertretern der jüdischen Gemeinde gewürdigt wurde. Auf heftige Kritik stieß hingegen, dass er 2009 die Exkommunikation von vier Bischöfen der konservativen Piusbruderschaft aufhob, zu denen der als Holocaustleugner bekannte Bischof Richard Williamson zählte.

Mit seinem überraschenden Rücktritt im Februar 2013 hat Papst Benedikt den Worten zu Beginn seines Pontifikates vielleicht am nachhaltigsten eine Bedeutung gegeben. In einem Akt großer menschlicher Souveränität hat er sich zur Begrenztheit seiner eigenen Möglichkeiten und Fähigkeiten bekannt. Durch seinen Verzicht hat Benedikt XVI. dem Papstamt eine Menschlichkeit gegeben, die Anstöße für das Nachdenken über die Ausübung von Ämtern in der Kirche überhaupt geben kann. Diese starke Dimension seines Vermächtnisses ist bis heute noch nicht vollständig ausgeschöpft.

Eine frühere Version dieses Nachrufs enthielt sachliche Fehler. Wir bitten dies zu entschuldigen.

Oberkirchenrat Johannes Dieckow
Amtsbereich der VELKD 
Referat für Ökumenische Grundsatzfragen

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